Der Ausgleichsgedanke der Mediation, Restorative Justice und der Interdependenztheorie
Von Mediator Sweti
Der erste Artikel unserer Reihe “3 Grundgedanken der Mediation” beschäftigt sich mit dem Ausgleich. Eine dritte Partei achtet darauf, dass empfundenes Unrecht, das durch vergangene Handlungen verursacht wurde, zwischen den Konfliktparteien ausgeglichen wird. Das ist, was bei einer Mediation passiert. Wie? Lesen Sie weiter.
Inhalt
- Interdependenz-Gedanke in der Konfliktdefinition
- Der Ausgleichsgedanke im Kontext der Interdependenztheorie
- Konzept der Restorative Justice
- Rolle des Mediators
- Fazit
Die INKOVEMA-Seite betont, dass Konflikte ein unvermeidlicher Bestandteil des Lebens sind. Sie entstehen aus den unterschiedlichen Perspektiven, Bedürfnissen und Erwartungen der Beteiligten. Konflikte sind nicht einfach nur Missverständnisse oder Fehlkommunikationen, sondern reflektieren tiefere soziale und emotionale Dynamiken. Diese Dynamiken sind untrennbar mit der menschlichen Natur verbunden, da jeder Mensch individuelle Erfahrungen und Überzeugungen in jede Interaktion einbringt.
Interdependenz-Gedanke in der Konfliktdefinition
Das Konzept der Interdependenz in der Konfliktdefinition bezieht sich auf die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Konfliktparteien. Diese Abhängigkeit bedeutet, dass die Handlungen und Entscheidungen einer Partei die Ergebnisse und das Verhalten der anderen Partei beeinflussen und umgekehrt. Interdependenz ist ein zentrales Element, das erklärt, warum Konflikte entstehen und wie sie gelöst werden können.
Das Interdependenz-Konzept wurde ursprünglich von Harold Kelley und John Thibaut in ihrer Interdependenztheorie (1959) eingeführt. Diese Theorie beschreibt, wie die Ergebnisse von Interaktionen durch die gegenseitige Abhängigkeit der beteiligten Personen beeinflusst werden. Die Theorie betont, dass die Qualität und die Dynamik von Beziehungen durch die Art und Weise bestimmt werden, wie Menschen die potenziellen Belohnungen und Kosten ihrer Interaktionen wahrnehmen.
Die Interdependenztheorie wird heute verwendet, um verschiedene Aspekte von Beziehungen zu analysieren, einschließlich Gruppendynamik, Konflikt und Kooperation, Vertrauen und Misstrauen, sowie Liebe und Engagement. Sie bietet ein praktisches Rahmenwerk, um die psychologischen Faktoren zu verstehen, die das Verhalten in Interaktionen motivieren, und hilft, effektive Strategien zur Konfliktbewältigung zu entwickeln.
Konflikte sind nicht nur unvermeidlich, sondern auch notwendig für unsere persönliche und kollektive Weiterentwicklung. Lassen Sie uns lernen, sie als Chancen für Wachstum und Transformation zu sehen!
Der Ausgleichsgedanke im Kontext der Interdependenztheorie
Der Gedanke des Ausgleichs in der Mediation bedeutet, dass eine dritte Partei darauf achtet, dass empfundenes Unrecht, das durch vergangene Handlungen verursacht wurde, zwischen den Konfliktparteien ausgeglichen wird. Dies kann durch einfache Maßnahmen wie eine Offenheit für die Sichtweise des anderen, die Anerkennung dessen, wie der andere die vergangenen Ereignisse erlebt hat, oder sogar eine ausdrückliche Entschuldigung erfolgen. Diese Maßnahmen können beiläufig geschehen, werden jedoch vom Mediator kommunikativ markiert, um sicherzustellen, dass sie nicht übersehen werden und zu einem gemeinsamen, bewussten Bestandteil der Realität werden.
Wie wirken sich Ausgleichsbemühungen auf den Konflikt aus?
- Heilung von Verletzungen: Durch Anerkennung und Entschuldigungen können emotionale Wunden geheilt werden, was den Weg für eine konstruktivere Kommunikation ebnet.
- Förderung des Verständnisses: Die Parteien entwickeln ein tieferes Verständnis für die Perspektive des anderen, was Empathie und Kooperation fördert.
Verbindung zwischen dem Ausgleichsgedanken der Mediation und der Interdependenztheorie
- Wechselseitige Abhängigkeit: Beide Konzepte betonen, dass Konflikte durch die wechselseitige Abhängigkeit der Parteien entstehen. Die Handlungen einer Person haben direkte Auswirkungen auf die andere, was die Notwendigkeit eines Ausgleichs und einer Wiedergutmachung verdeutlicht.
- Anerkennung und Verantwortung: Im Rahmen der Interdependenztheorie wird deutlich, dass die Anerkennung der wechselseitigen Abhängigkeit und die Übernahme von Verantwortung für eigene Handlungen zentral sind. Der Ausgleichsgedanke in der Mediation fördert genau dies, indem er den Parteien hilft, ihre Rollen und die Auswirkungen ihrer Handlungen zu reflektieren und anzuerkennen.
- Wiederherstellung der Beziehung: Beide Ansätze zielen darauf ab, Beziehungen zu verbessern und zu stabilisieren. Durch den Ausgleich werden negative Gefühle und Missverständnisse adressiert, was die Grundlage für eine gesündere Interaktion schafft.
Interdependenztheorie und alternative Ausgleichsmaßnahmen
Die Interdependenztheorie betont die wechselseitige Abhängigkeit der Konfliktparteien. Diese Theorie hilft zu verstehen, wie verschiedene Handlungen und Entscheidungen das Verhalten und die Wahrnehmung der beteiligten Parteien beeinflussen.
Weitere Möglichkeiten zum Ausgleich des empfundenen Unrechts:
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Anerkennung und Wertschätzung: Die Parteien können gegenseitig ihre Beiträge und Bemühungen anerkennen, was das Gefühl der Wertschätzung und des Respekts fördert. Beispiel: Ein Mitarbeiter erkennt öffentlich die harte Arbeit und den Einsatz eines Kollegen an, was zu einer positiven Dynamik im Team führt.
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Materielle oder symbolische Gesten: Geschenke oder symbolische Gesten können dazu beitragen, das Unrecht auszugleichen und gute Absichten zu zeigen. Beispiel: Ein symbolisches Geschenk oder eine kleine Aufmerksamkeit können helfen, Spannungen zu mindern und gute Beziehungen wiederherzustellen.
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Zukunftsorientierte Vereinbarungen: Die Parteien können Vereinbarungen treffen, die darauf abzielen, zukünftige Konflikte zu vermeiden und die Zusammenarbeit zu verbessern. Beispiel: Zwei Kollegen legen fest, wie sie in Zukunft besser kommunizieren und Entscheidungen gemeinsam treffen, um Missverständnisse zu vermeiden.
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Gemeinsame Aktivitäten: Gemeinsame Aktivitäten oder Projekte können helfen, das Vertrauen wieder aufzubauen und positive Erfahrungen zu schaffen. Beispiel: Ein Team, das gemeinsam an einem Projekt arbeitet, kann durch die Zusammenarbeit und den gemeinsamen Erfolg Spannungen abbauen und Beziehungen stärken.
Konzept der Restorative Justice
Restorative Justice ist ein Ansatz zur Konfliktlösung, der darauf abzielt, die durch das Unrecht verursachten Schäden zu reparieren und die Beziehungen zwischen den Beteiligten wiederherzustellen. Dieser Ansatz konzentriert sich auf die Bedürfnisse der Opfer, der Täter und der Gemeinschaft. Im Zentrum steht der Dialog, in dem alle Parteien ihre Perspektiven teilen, Verantwortung übernehmen und gemeinsam Lösungen finden, um den Schaden wiedergutzumachen.
Hauptprinzipien der Restorative Justice:
- Reparatur des Schadens: Fokussiert auf die Wiedergutmachung des angerichteten Schadens.
- Einbeziehung aller Beteiligten: Ermöglicht allen Betroffenen, ihre Sichtweisen darzulegen.
- Wiedergutmachung und Verantwortung: Fördert die Verantwortungsübernahme des Täters und die aktive Teilnahme an der Wiedergutmachung.
Verbindung mit dem Ausgleichsgedanken der Mediation
Der Gedanke des Ausgleichs in der Mediation und das Konzept der Restorative Justice teilen viele gemeinsame Prinzipien. Beide Ansätze betonen die Bedeutung von Anerkennung, Verantwortung und der Wiederherstellung von Beziehungen. Im Kontext der Mediation bedeutet dies:
- Anerkennung des erlittenen Unrechts: Wie bei der Restorative Justice erfordert der Ausgleich in der Mediation, dass die Parteien die erlittenen Schäden anerkennen und die Perspektiven des anderen verstehen.
- Reparative Maßnahmen: Neben Entschuldigungen können materielle oder symbolische Gesten, zukünftige Vereinbarungen und gemeinsame Aktivitäten dazu beitragen, das erlittene Unrecht auszugleichen.
- Förderung von Dialog und Verständnis: Durch einen strukturierten Dialog, unterstützt durch den Mediator, können die Parteien ihre gegenseitige Abhängigkeit und die Auswirkungen ihrer Handlungen aufeinander besser verstehen.
Beispielhafte Verbindung beide Konzepte:
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Restorative Justice Fall: Ein Schüler hat einem anderen Schüler das Fahrrad gestohlen. In einer Restorative Justice-Sitzung erklärt der Täter seine Beweggründe und entschuldigt sich beim Opfer. Beide Seiten diskutieren den erlittenen Schaden und vereinbaren, dass der Täter das Fahrrad repariert und zusätzliche Sozialstunden leistet.
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Mediation Fall: Zwei Kollegen geraten in einen Streit über die Verteilung von Aufgaben. Während der Mediation erkennen beide an, wie ihre Handlungen den anderen beeinflusst haben. Sie einigen sich auf eine Neuverteilung der Aufgaben und verpflichten sich zu regelmäßigen Gesprähen, um zukünftige Missverständnisse zu vermeiden.
In beiden Szenarien hilft der Mediator bzw. die Restorative Justice-Sitzung, den Schaden anzuerkennen, Verantwortung zu übernehmen und praktische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Beziehung zu vereinbaren.
Rolle des Mediators
Der Mediator spielt eine zentrale Rolle bei der Konfliktlösung, indem er den Ausgleichsgedanken, den Interdependenzgedanken und das Konzept der Restorative Justice integriert.
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Ausgleichsgedanke: Der Mediator fördert die Anerkennung und Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht durch Entschuldigungen, Anerkennung der Perspektiven und symbolische Gesten. Diese Maßnahmen helfen, emotionale Wunden zu heilen und ein tieferes Verständnis zu entwickeln.
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Interdependenzgedanke: Der Mediator unterstützt die Konfliktparteien dabei, ihre wechselseitige Abhängigkeit zu erkennen und die Auswirkungen ihrer Handlungen aufeinander zu verstehen. Dies fördert die Übernahme von Verantwortung und die Wiederherstellung von Beziehungen.
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Restorative Justice: Der Mediator ermöglicht einen strukturierten Dialog, in dem alle Parteien ihre Perspektiven teilen, Verantwortung übernehmen und gemeinsam Lösungen finden, um den Schaden zu reparieren und die Beziehungen zu stärken.
Durch diese Ansätze schafft der Mediator einen sicheren Raum für konstruktive Kommunikation und nachhaltige Konfliktlösung.
Fazit
Konflikte sind unvermeidlich und integraler Bestandteil menschlicher Beziehungen. Sie entstehen durch die interdependente Natur unserer sozialen Interaktionen und reflektieren tiefere emotionale und psychologische Dynamiken. Der Ausgleichsgedanke in der Mediation bietet eine Möglichkeit, diese Konflikte konstruktiv zu bearbeiten, indem er Heilung und Verständnis fördert. Mediatoren spielen eine entscheidende Rolle dabei, diesen Prozess zu unterstützen und sicherzustellen, dass alle Parteien fair behandelt werden.
Inkovema-Seite
Mehr Informationen zu der Leitideen der Mediation finden Sie auf der Webseite INKOVEMA - Was Mediatoren antreibt: Vermittlung, Ausgleich, Transformation als Leitideen der Mediation.