Entwicklung und Vergleich der BATNA – Handlungsfähigkeit durch Verhandlungsalternativen stärken
Mediator Sweti

Einleitung
In jeder Verhandlung – ob in Projektteams, bei Führungskonflikten oder zwischen Organisationseinheiten – steht am Ende eine Entscheidung. Doch was geschieht, wenn keine Einigung erzielt wird? Die Qualität einer Verhandlung hängt nicht allein vom Ergebnis ab, sondern auch davon, welche Alternativen den Beteiligten zur Verfügung stehen.
Verhandlungsalternativen sind gedanklich durchgespielte Handlungsoptionen, die dann greifen, wenn die Verhandlung scheitert oder keine tragfähige Lösung gefunden wird. Sie entstehen durch Reflexion, Szenarienplanung oder im Vorfeld der Mediation durch bilaterale oder strategische Vorklärung. Alternativen machen Verhandlungen souveräner – denn wer seine Optionen kennt, verhandelt nicht aus Angst oder Ohnmacht, sondern auf Augenhöhe.
Das Konzept der BATNA – Best Alternative to a Negotiated Agreement – hilft, diese Alternativen systematisch zu entwickeln, zu vergleichen und in der Mediation transparent zu reflektieren. Dieser Artikel beleuchtet, wie BATNAs im Kontext von Organisationsmediation methodisch, systemisch und verantwortungsvoll genutzt werden können.
Problemdefinition: Verhandlungen ohne Sicherheitsnetz
In Organisationen erleben wir oft, dass Entscheidungen unter Zeitdruck oder mit hohem Erwartungsdruck getroffen werden. Nicht selten werden Einigungen eingegangen, obwohl wichtige Bedingungen ungeklärt oder unausgesprochen sind. Die Folge: Vereinbarungen, die später infrage gestellt, unterlaufen oder passiv blockiert werden.
Ein häufiger Grund dafür ist das Fehlen von reflektierten Alternativen: Die Beteiligten wissen nicht, welche Optionen sie tatsächlich haben, wenn keine Einigung zustande kommt – oder sie sprechen nicht darüber. In solchen Fällen wird die Einigung zur Pflicht, nicht zur Wahl. Das erzeugt Frust, Misstrauen und Abhängigkeit.
Beispiel: Eine Fachabteilung akzeptiert neue Projektverpflichtungen, obwohl sie weiß, dass die Ressourcen nicht ausreichen – aus Angst, nicht kooperationsbereit zu wirken oder das Projekt zu gefährden.
Theorie: BATNA als systemisches Orientierungsinstrument
Was ist eine BATNA?
BATNA steht für Best Alternative to a Negotiated Agreement und bezeichnet die beste Handlungsoption, die einer Partei zur Verfügung steht, wenn keine Einigung erzielt wird. Sie dient nicht als Drohmittel, sondern als Bezugsgröße für Entscheidungsqualität: Eine gefundene Lösung ist nur dann sinnvoll, wenn sie besser ist als das, was ohne Einigung geschehen würde.
BATNA steht im Zusammenhang mit weiteren Konzepten:
WATNA (Worst Alternative to a Negotiated Agreement): Die schlechteste realistische Option, wenn keine Einigung zustande kommt. Sie hilft, Risiken bewusst zu machen und Entscheidung aus Angst oder Überforderung zu vermeiden. Beispiel: Der Abbruch eines Projekts führt zu Personalverlust, Imageeinbußen und finanziellen Sanktionen.
ZOPA (Zone of Possible Agreement): Der Verhandlungsbereich, in dem sich die BATNAs der Parteien überlappen. Hier besteht Spielraum für Einigungen. Wenn beispielsweise Partei A bereit wäre, zwischen 40.000 und 50.000 € zu zahlen und Partei B mindestens 45.000 € verlangt, liegt die ZOPA zwischen 45.000 und 50.000 €.
ZOPA-Beispieltabelle:
Beteiligte Untergrenze (BATNA) Obergrenze (max. akzeptabel) Partei B 40.000 € 50.000 € Partei A 45.000 € 55.000 €
→ Verhandelbarer Bereich: 45.000–50.000 €
- ZAPTA (Zone of Agreement Possible to All): Der Bereich minimal akzeptabler Lösungen, bei denen keine Partei ihr Gesicht verliert oder Grundwerte verletzt sieht. Sie beschreibt den kleinsten gemeinsamen Nenner – etwa eine temporäre Übergangslösung oder ein Teilabkommen, das auf späteren Nachverhandlungen aufbaut.
Systemische Perspektiven
- Konstruktivismus: BATNAs sind keine objektiv gegebenen Fakten, sondern subjektiv konstruierte Szenarien. Entscheidend ist nicht nur, was möglich ist, sondern wie es wahrgenommen und bewertet wird.
- Zirkuläres Denken: Die Kenntnis und Kommunikation über die eigene BATNA beeinflusst die Wahrnehmung und Strategie der Gegenseite. Wer offen mit Alternativen umgeht, verändert den Verhandlungsraum.
- Selbstorganisation: Die Arbeit mit Alternativen aktiviert Entscheidungsräume und stärkt die Autonomie innerhalb des Systems. BATNAs wirken wie systeminterne Korrekturinstrumente gegen erzwungene Lösungen.
Kommunikationspsychologie (Schulz von Thun)
- Die Arbeit an der eigenen BATNA fördert Selbstklärung (Selbstoffenbarungsebene).
- Zugleich unterstützt sie bewusste Kommunikation über innere Klarheit („Ich bin handlungsfähig – aber bereit zur Lösung“).
- Über die Sachebene hinaus können auch emotionale Appelle abgefedert werden („Ich muss das jetzt durchsetzen!“ → „Ich habe Alternativen“).
Anwendung in der Organisationsmediation
Die konkrete Umsetzung des BATNA-Konzepts in der Organisationsmediation erfordert methodisches Geschick und eine gute Balance zwischen Struktur und Offenheit. Ziel ist es, individuelle Alternativen nicht nur zu benennen, sondern sie realistisch, systemisch und beziehungsbewusst zu reflektieren.
Die Entwicklung von BATNAs beginnt meist mit offenen, reflexiven Fragen: „Was würden Sie tun, wenn es heute zu keiner Lösung kommt?“ oder „Welche Option haben Sie – auch wenn die andere Seite nicht mitgeht?“ Diese Fragen eröffnen einen Raum zur Selbstklärung, in dem es nicht um Macht, sondern um Handlungsfähigkeit geht.
In einem nächsten Schritt folgt die Szenarienarbeit: Die Beteiligten skizzieren realistische Alternativen – von Rückzug über Eskalation bis hin zu Zwischenlösungen. Diese Szenarien werden bewusst mit ihren Auswirkungen auf Zeit, Ressourcen, Beziehungen und Image verbunden. Hierbei kann auch visuell gearbeitet werden – etwa mit Entscheidungsbäumen oder Karten.
Ein dritter Aspekt ist die Unterscheidung zwischen Wunsch, Drohung und tragfähiger Option. Viele Aussagen wie „Dann machen wir eben gar nichts mehr“ sind Affektaussagen oder Appelle, keine echten BATNAs. Die Mediator:in hilft, diese Ebenen zu entflechten und herauszuarbeiten, welche Alternativen tragfähig sind – auch wenn niemand zuschaut.
Vergleich und Bewertung
Nach der Entwicklung möglicher Alternativen stellt sich die Frage, wie diese bewertet und miteinander verglichen werden können. Ziel ist es, zwischen Wunschbild und realistischer Option zu unterscheiden und auf dieser Basis fundierte Entscheidungen zu treffen.
Ein hilfreicher Ansatz ist die Bewertung anhand mehrerer systematisch reflektierter Kriterien: Wie riskant ist die jeweilige Option? Welche direkten und indirekten Kosten entstehen? Wie schnell lässt sich die Alternative umsetzen? Welche Auswirkungen hätte sie auf das Image der Person, des Teams oder der Organisation? Und wie reversibel ist der eingeschlagene Weg, sollte sich später eine bessere Lösung ergeben?
Eine strukturierte Methode zur Bewertung ist die BATNA-Matrix. Dabei werden die identifizierten Alternativen zeilenweise gegenübergestellt, während die relevanten Kriterien die Spalten bilden. Jede Option wird qualitativ oder semiquantitativ eingeschätzt (z. B. niedrig–mittel–hoch), um Stärken, Risiken und Trade-offs sichtbar zu machen. So wird deutlich, welche Alternative wirklich tragfähig ist – und welche vor allem aus emotionalem Druck heraus gewählt wird.
Mediatorische Interventionen
Ein zentraler Beitrag der Mediator:in in der BATNA-Arbeit liegt darin, Reflexionsräume zu schaffen, in denen Alternativen nicht als Drohung, sondern als Orientierungsinstrument betrachtet werden können. Die folgenden Interventionen fördern Perspektivwechsel und fördern die Selbstverantwortung der Beteiligten.
Die Technik des Spiegelns erlaubt es, implizite Denkweisen oder Strategien der Beteiligten zurückzugeben – nicht als Korrektiv, sondern als Einladung zur Reflexion. Beispielsweise könnte gefragt werden: „Wenn Sie diesen Weg tatsächlich gehen – was verändert sich dann konkret in Ihrem Team oder im Projektverlauf?“ Ziel ist es, dass die Person ihre Entscheidung innerlich durchspielt und deren Folgen systemisch abschätzt.
Systemisch zirkuläres Fragen eröffnet den Blick auf die Wechselwirkungen im System. Mit einer Formulierung wie: „Wie denken Sie, würde Ihre Alternative auf die Gegenseite wirken?“ wird nicht nach Schuld oder Durchsetzbarkeit gefragt, sondern nach Wirkungszusammenhängen. Dadurch wird vermieden, dass die Alternative nur aus der eigenen Position heraus bewertet wird.
Die Methode der Externalisierung schafft eine Distanz zur eigenen BATNA, indem sie imaginäre Beobachterperspektiven einführt. Eine typische Frage wäre: „Stellen Sie sich vor, ein neutraler Dritter würde Ihre Alternative bewerten – was würde er wahrnehmen, was wäre ihm unklar?“ Durch diese Intervention gelingt es, implizite Motive oder blinde Flecken sichtbarer zu machen und das Gespräch zu versachlichen.
Beispiel
Fall: In einem mittelständischen Unternehmen verhandeln die Abteilungen Controlling und Produktentwicklung über die Priorisierung eines geplanten Softwareprojekts. Während das Controlling auf Einhaltung des vorgegebenen Budgets pocht, besteht die Entwicklungsabteilung auf zusätzlichen Mitteln zur Qualitätssicherung. Die Gespräche verlaufen festgefahren – beide Seiten drohen indirekt mit Rückzug oder Eskalation auf die Geschäftsführungsebene.
Anwendung von BATNA: In der Mediation werden beide Seiten eingeladen, ihre Alternativen zur Verhandlungslösung zu formulieren. Die Produktentwicklung erwägt, das Projekt zu verschieben oder in reduzierter Form umzusetzen – allerdings mit klaren Risiken für Markterfolg und Teamstabilität. Das Controlling wiederum erkennt, dass ein Scheitern der Einigung zu interner Unzufriedenheit und Reputationsverlust führen könnte. Die Mediator:in nutzt zirkuläre Fragen, um die gegenseitige Wirkung der Alternativen sichtbar zu machen und hilft, realistische Handlungsoptionen zu vergleichen. In der Folge entsteht ein Vorschlag für ein Zwischenbudget mit externem Review nach drei Monaten – getragen von beiden Seiten als tragfähige Lösung.

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Fazit
BATNAs machen Verhandlungen erwachsen. Sie bieten keine Drohung, sondern Orientierung. Wer seine Alternativen kennt, ist verhandlungsfähig – und kann Lösungen zustimmen, weil sie besser sind als der Rückzug, nicht weil er alternativlos erscheint.
In der systemischen Mediation ist die Arbeit mit BATNAs ein zentrales Instrument zur Klärung von Macht, Verantwortung und Entscheidungsfähigkeit – besonders dann, wenn komplexe Organisationen und vielschichtige Interessen aufeinandertreffen.
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