Menschen und Probleme trennen – Eine systemische Kerntechnik in der Organisationsmediation
Von Mediator Sweti
Einleitung
Dieser Blogartikel ist der erste Teil einer Serie zur Anwendung des Harvard-Konzepts in der Organisationsmediation. Jede Folge widmet sich einem der vier Grundprinzipien und zeigt deren theoretische Fundierung und praktische Umsetzung im organisationalen Kontext. In der Organisationsmediation steht häufig weniger die Sachfrage im Vordergrund als vielmehr die emotionale Verstrickung der Beteiligten. Die Technik “Menschen und Probleme trennen” – eines der vier Grundprinzipien des Harvard-Konzepts – ist hier besonders wirkungsvoll. Dieser Beitrag beleuchtet das Konzept theoretisch fundiert und kontextualisiert es systemisch, kommunikationspsychologisch und konfliktanalytisch.
Problem vs. Konflikt – Eine begriffliche Klärung
Ein Problem ist eine sachlich beschreibbare Abweichung vom gewünschten Zustand, die durch Analyse und Lösungskompetenz bearbeitet werden kann.
Ein Konflikt hingegen ist ein eskalierendes Beziehungsgeschehen, in dem die Wahrnehmung, Bewertung und Kommunikation zwischen Beteiligten gestört ist.
Beispielhafte Gegenüberstellung:
Ein Problem ist etwa: „Das Budget ist überschritten.“ Dabei handelt es sich um eine sachlich analysierbare Situation mit potenziellen Lösungen.
Ein Konflikt hingegen äußert sich so: „Du bist schuld, dass wir das Budget überschritten haben!“ – Hier vermischt sich die Sachlage mit persönlichen Vorwürfen. Das Problem wird emotional aufgeladen und der anderen Person zugeschrieben. Konflikte entstehen oft, wenn Probleme personalisiert werden.
Konflikte entstehen oft dann, wenn ein Problem personalisiert wird.
Systemische Grundlagen
Die systemische Haltung beruht auf Konstruktivismus und Zirkularität:
- Konstruktivismus: Realität wird subjektiv konstruiert. Ein Problem ist nie objektiv, sondern immer durch die Brille der Beteiligten gefärbt.
- Zirkuläres Fragen hilft, Wechselwirkungen sichtbar zu machen: “Was glaubst du, wie dein Verhalten auf den anderen wirkt?”
- Das Problem wird als Element eines Beziehungsgefüges betrachtet, nicht als Eigenschaft einer Person.
Das Trennen von Mensch und Problem bedeutet also: Der Mensch wird nicht mit seinem Verhalten identifiziert.
Warum Menschen und Probleme trennen?
Aus systemischer Sicht:
- Menschen sind keine Probleme – sie agieren in Kontexten.
- Verhalten ist immer funktional im jeweiligen Systemzusammenhang.
- Trennung fördert die Deeskalation und Systementkopplung.
Aus kommunikationspsychologischer Sicht (Schulz von Thun):
- Jedes Verhalten hat vier Botschaften (Sach-, Selbstoffenbarungs-, Beziehungs-, Appellebene).
- Wird ein Konflikt über die Beziehungsebene ausgetragen, blockiert dies die sachliche Klärung.
- Trennung hilft, den Fokus auf die Sachebene zu lenken.
Aus der Transaktionsanalyse (TA):
- Unbewusste Spiele (z. B. “Jetzt hab ich dich, du Schwein!”) entstehen durch Rollenzuschreibungen.
- Wenn Personen auf ihre Kind- oder Eltern-Ich-Zustände reduziert werden, verschmilzt Mensch und Problem.
- Ein funktionierendes Erwachsenen-Ich trennt Beobachtung von Bewertung.
Aus psychologischer Sicht:
- Emotionales Reagieren (Fight/Flight/Freeze) verhindert Perspektivwechsel.
- Die Trennung ermöglicht Regulation: erst Selbstklärung, dann gemeinsame Klärung.
Ziele dieser Technik
Vertrauensaufbau
Indem Menschen nicht als “Problemträger” dargestellt werden, sondern als kooperationsfähige Beteiligte, entsteht Raum für gegenseitigen Respekt. Die Technik unterstützt die Grundannahme: “Du bist nicht das Problem – wir lösen gemeinsam ein Problem.” Diese Haltung senkt die Verteidigungsbereitschaft und eröffnet neue Beziehungsmöglichkeiten, insbesondere in hierarchisch geprägten Organisationen.
Entspannung der Gesprächssituation
Konfliktsituationen sind oft emotional aufgeladen. Die Trennung von Mensch und Problem entlastet die Beteiligten emotional, weil Schuldzuweisungen unterbleiben. Stattdessen wird das Gespräch konstruktiv auf eine lösungsorientierte Ebene gelenkt. Dies reduziert Stress, fördert Offenheit und erhöht die Kommunikationsbereitschaft.
Verlagerung des Fokus auf die gemeinsame Lösung
Wenn nicht länger Personen für das Problem verantwortlich gemacht werden, kann der Blick frei werden für systemische Ursachen, strukturelle Barrieren oder kommunikative Missverständnisse. Der Fokus verschiebt sich von der Vergangenheit (Wer hat was getan?) hin zur Zukunft (Wie können wir es gemeinsam besser machen?). Das stärkt die Eigenverantwortung beider Seiten und fördert eine nachhaltige Veränderung.
Herausforderung: Wenn das Problem im Menschen gesehen wird
Gerade in emotional aufgeladenen Konflikten – etwa bei erlebter Kränkung, Vertrauensbruch oder Demütigung – wird das Problem häufig als Teil der Person erlebt. Die Trennung von Person und Problem erscheint dann künstlich oder sogar zynisch. In solchen Fällen braucht es besondere Sensibilität und methodisches Geschick seitens der Mediatorin oder des Mediators.
Vertrauensaufbau durch Beziehungsgestaltung
Bevor eine kognitive Trennung möglich ist, muss eine emotionale Basis geschaffen werden. Geeignete Interventionen sind:
- Empathische Spiegelung: “Ich höre, dass Sie sich tief verletzt fühlen durch das, was passiert ist.”
- Allparteilichkeit aktiv zeigen: Jeder Partei wird zugehört und Wertschätzung entgegengebracht, ohne Bewertungen vorzunehmen.
- Tempo drosseln: In frühen Phasen der Mediation weniger auf die Lösung, sondern auf das gegenseitige Verstehen fokussieren.
Problem-Externalisierung durch sprachliche Reframing-Techniken
- Formulierungshilfen: Statt “Frau X ist rechthaberisch” → “Die Gespräche mit Frau X verlaufen oft festgefahren – was könnte dahinter stehen?”
- Narrative Umdeutung: “Was ist die Geschichte dieses Konflikts aus Ihrer Sicht – und welche andere Geschichte könnte man auch erzählen?”
Fokusverschiebung durch zirkuläres Fragen
Zirkuläres Fragen kann helfen, die Perspektive zu öffnen:
- “Was denken Sie, wie die andere Seite die Situation erlebt hat?”
- “Was glauben Sie, wie Ihr Verhalten auf das Team wirkt?”
Diese Interventionen führen schrittweise dazu, dass sich die Identifikation mit dem Konflikt lockert – und der Weg zur Trennung von Mensch und Problem geöffnet wird.
Beispiele aus der Organisationspraxis
- Projektverzug: Statt „Peter ist unfähig“, wird analysiert: „Welche Prozessschritte sind unklar?“
- Führungskonflikt: Statt „Meine Chefin ist unfair“, wird gefragt: „Welche Erwartungen sind unausgesprochen?“
- Teamkonflikt: Statt Schuldzuweisungen: „Welche unterschiedlichen Sichtweisen bestehen auf das Ziel?“
Fazit
Die Trennung von Mensch und Problem ist mehr als ein Kommunikationstrick. Sie ist Ausdruck systemischer Haltung, psychologischer Reife und konfliktanalytischer Klarheit. Besonders in der Organisationsmediation eröffnet sie den Weg zu tragfähigen Lösungen – jenseits von Schuld, Scham und Eskalation.
Weiterführend: In den nächsten Artikeln dieser Serie beleuchten wir die weiteren Prinzipien des Harvard-Konzepts – mit Blick auf deren Anwendbarkeit in komplexen Organisationsstrukturen.
Wietre Informationen über Verhandlungstechnicken finde Sie in folgenden Artikeln:
- Der Verhandlungsgedanke in der Mediation
- Kooperative und kompetitive Verhandlungstechniken in der Mediation: Ein Vergleich
Kontakt:
Dr. Swetoslaw Beltschew – Konfliktbegleitung
E-Mail: mediator@sweti.de
Webseite: mediator.sweti.de
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