Entscheidungsoptionen entwickeln – Drittes Prinzip des Harvard-Konzepts in der Organisationsmediation
Von Mediator Sweti
Dieser dritte Artikel der Serie zum Harvard-Konzept in der Organisationsmediation widmet sich dem Prinzip: „Entscheidungsoptionen zum beiderseitigen Vorteil entwickeln“. Während in vielen Verhandlungen vorschnell eine Lösung angestrebt wird, plädiert dieses Prinzip dafür, die Lösungssuche bewusst zu verlangsamen und auf Vielfalt zu setzen. Nicht der erste Kompromiss, sondern die bestmögliche Übereinkunft zählt.
Wir beleuchten dieses Prinzip aus systemischer, kommunikationspsychologischer und konfliktanalytischer Perspektive und stellen seine Anwendung in der Praxis der Organisationsmediation dar.
Problemdefinition: Wenn Kompromisse zu früh entstehen
In vielen Organisationen ist die Dynamik bekannt: Nach einer Konfliktschilderung wird rasch nach Lösungen gesucht. Oft einigt man sich auf einen Kompromiss – doch die Lösung hält nicht, oder ein Beteiligter zieht sich innerlich zurück. Was fehlt, ist ein Raum für Vielfalt.
Wenn nur eine Lösung als denkbar gilt, reduziert sich die Verhandlung auf ein Nullsummenspiel. Ein Nullsummenspiel ist eine Situation, in der der Gewinn der einen Seite exakt dem Verlust der anderen entspricht – die Summe ist immer null. In solchen Verhandlungen wird jede Zugeständnis als Verlust gewertet, statt als Beitrag zur Lösung.
Wenn nur eine Lösung als denkbar gilt, reduziert sich die Verhandlung auf ein Nullsummenspiel. Solche Situationen erzeugen Misstrauen, Verhärtung und führen nicht selten zu Folgestreitigkeiten.
Theorie: Kreative Vielfalt als systemischer Prozess
Systemische Grundlagen
- Konstruktivismus: Jede Partei bringt ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Erst im gemeinsamen Raum entsteht neue Bedeutung.
- Zirkuläres Denken: Optionen entstehen nicht durch lineare Zielorientierung, sondern im Wechselspiel von Perspektiven.
- Selbstorganisation: Systeme entwickeln neue Strukturen durch Irritation – kreative Lösungen sind solche Irritationen.
- Mehrperspektivität: Vielfalt an Optionen ermöglicht, Unterschiede sichtbar und bearbeitbar zu machen.
Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun
- Optionen entstehen auf verschiedenen Ebenen der Kommunikation.
- Eine Idee, die auf der Sachebene formuliert wird, kann auf der Beziehungsebene blockiert oder getragen werden.
- Metakommunikation („Wie gehen wir mit Ideen um?“) ist daher essenziell.
Konfliktdynamik nach Glasl
- In Eskalationsstufe 3 („Taten statt Worte“) beginnt der Handlungsvorrang. Optionen zu generieren bedeutet hier, zurück zur Kooperation zu finden.
- Das Prinzip wirkt deeskalierend: Wer Optionen anbietet, verlässt die Konfrontation.
Anwendung in der Organisationsmediation
Trennung von Lösungsfindung und Bewertung
Ein zentrales Prinzip: Zuerst sammeln – dann prüfen. Diese Trennung verhindert vorschnelles Verwerfen und schützt schwache, aber wichtige Impulse.
Konkrete Metode | Beschreibung |
---|---|
Stillarbeit | Jeder notiert 3–5 Lösungsideen ohne Austausch. |
Kartenabfrage | Alle Ideen werden sichtbar gemacht – ohne Kommentar. |
Clustern | Gemeinsam werden Themenbereiche und Muster erkannt. |
Bewerten | Erst danach erfolgt die Bewertung anhand von Kriterien wie Umsetzbarkeit, Fairness, Dauerhaftigkeit. |
Systemische Leitfragen in der Lösungsphase |
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„Was wäre eine Lösung, mit der niemand verliert?“ |
„Welche Lösung wäre überraschend – aber nützlich?“ |
„Welche Option würde ein externer Beobachter vorschlagen?“ |
„Wenn es keine Begrenzungen gäbe – was wäre dann denkbar?“ |
„Welche Lösung wäre nicht perfekt, aber akzeptabel für beide Seiten?“ |
Beispiel aus der Praxis
Konflikt: Zwei Fachbereiche streiten über Zuständigkeiten bei Projektaufträgen. Beide beanspruchen Ressourcenverteilung.
Klassischer Kompromiss: „Jede Abteilung übernimmt 50 % der Projekte.“
Optionenvielfalt (Ergebnis der Mediation):
- Ressourcenvergabe über ein rollierendes System
- Projektverteilung nach Verfügbarkeit und Kompetenz
- Bildung eines übergreifenden Projektpools mit Zuteilung durch eine neutrale Instanz
Die Vielfalt der Ideen führt zu einer stabileren und flexibleren Lösung.
Fazit
Das Entwickeln von Entscheidungsoptionen ist ein kreativer, systemischer Prozess. Er erweitert die Perspektiven, stärkt das Vertrauen in die Mediation und bietet die Chance auf Win-Win-Lösungen. Besonders in komplexen Organisationen ist dieses Prinzip unverzichtbar – denn dort sind einfache Kompromisse selten nachhaltig.
Mediatoren und Berater:innen, die mit diesem Prinzip arbeiten, ermöglichen ihren Klienten mehr als eine Lösung: Sie ermöglichen Bewegung.
Weiterführend: Im nächsten Artikel dieser Reihe stellen wir das vierte Prinzip des Harvard-Konzepts vor: „Objektive Kriterien verwenden“ – und untersuchen, wie normative Maßstäbe in Verhandlungen systemisch eingebettet werden können.
Kontakt:
Dr. Swetoslaw Beltschew – Konfliktbegleitung
E-Mail: mediator@sweti.de
Webseite: mediator.sweti.de
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