Hypothesenbildung: Systemische Klarheit statt vorschneller Deutung
Mediator Sweti

Einstieg: “Vielleicht will sie gar nicht stören…”
Die Tür fiel zum dritten Mal innerhalb von zehn Minuten ins Schloss. Klientin A sah kurz zur Seite, seufzte und sagte: “Das macht sie immer, sobald ich etwas sagen will.” In meinem Kopf zuckte ein Impuls: Provokation? Ablenkung? Doch ich hielt inne. Was, wenn…? Was, wenn das Verhalten nicht gegen A gerichtet ist – sondern für etwas anderes steht?
So beginnt oft der Moment, in dem aus reiner Vermutung eine systemische Hypothese wird. Nicht als Wahrheit, sondern als Versuch, ein Muster zu erkennen, das einen Unterschied macht – für unser Verstehen, für unsere Intervention, für unsere Haltung.
Was systemische Hypothesen sind – und was nicht
Systemische Hypothesen sind keine Diagnosen und keine festen Erklärungen. Sie sind Denkangebote, Möglichkeitsräume. Anders als Spekulationen oder bloße Vermutungen gründen sie sich auf beobachtbare Hinweise und stellen Zusammenhänge her – zirkulär, kontextgebunden und sinnorientiert.
“Information is a difference that makes a difference.”
— Gregory Bateson
Genau das tun Hypothesen: Sie erzeugen Differenzen im Denken. Und diese Differenzen machen einen Unterschied in der Beratung.
“Hypothesen sollen die Neutralität des Therapeuten gewährleisten und seine Aufmerksamkeit leiten. Sie sind keine Wahrheitssuche, sondern eine Technik des Fragens.”
— Mara Selvini Palazzoli
Wichtige Merkmale systemischer Hypothesen:
- Sie entstehen aus Kontextbeobachtung und zirkulärem Denken
- Sie bleiben bewusst vorläufig, mehrdeutig und veränderbar
- Sie werden im Konjunktiv formuliert („Es könnte sein, dass…“)
- Sie dienen der Ausrichtung von Aufmerksamkeit – nicht der Etikettierung
Der Prozess der Hypothesenbildung – eine lösungsorientierte Perspektive
In der lösungsorientierten Beratung fragen wir nicht: Warum ist das so?, sondern: Was ist hilfreich, um etwas zu verändern? Hypothesen helfen uns, genau hier gezielt zuzuhören und kluge Fragen zu stellen.
Voraussetzungen
- Neugier statt Deutung
- Haltung des Nichtwissens
- Beobachtung mit systemischem Blick: Was wiederholt sich? Was wird vermieden?
Schritte zur Formulierung (nach Ulf Klein, erweitert)
- Beobachtbarer Fakt: “Carina, 15, spricht kaum in der Sitzung.”
- Wechselwirkung: “Möglicherweise reagiert sie auf die ständigen Vorschläge ihrer Mutter.”
- Sinnstiftung: “…um eine eigene Identität zu behaupten.”
👉 Hypothese: “Carina ist 15 Jahre alt und spricht möglicherweise wenig, um sich gegenüber den vielen Vorschlägen ihrer Mutter abzugrenzen und so eine eigenständige Identität zu entwickeln.”
Praktische Interventionstechniken:
- Zirkuläre Fragen: “Was glauben Sie, wie X das erlebt, wenn…?”
- Reframing: „Was wäre, wenn das Verhalten ein Lösungsversuch ist?“
- Visualisierung: Skizzen, Karten, Systembilder
- Metaphern & Externalisierung: “Wenn der Streit ein Tier wäre – welches?”
Haltung als Grundlage: Hypothesen als Ausdruck systemischer Ethik
Systemische Hypothesen sind nicht nur methodische Werkzeuge – sie sind Ausdruck einer Haltung. Einer Haltung, die geprägt ist von:
- Respekt vor der Eigenlogik von Systemen
- Zweifel an einfachen Wahrheiten
- Mut, Unschärfe auszuhalten
Ich selbst habe gelernt, Hypothesen nicht als geistige Trophäen zu sammeln, sondern sie wie Seifenblasen zu betrachten: Sie sollen schweben, glänzen – und dürfen jederzeit zerplatzen. Entscheidend ist, ob sie dem System dienen. Wenn nicht: neue Hypothese.
Systemtheorie als Hintergrund: Warum das Ganze Sinn macht
Niklas Luhmanns Systemtheorie bietet die passende Brille:
- Systeme sind operativ geschlossen – wir sehen nur, was anschlussfähig ist
- Kommunikation ist die Einheit des Sozialen – nicht Individuen
- Beobachtung 2. Ordnung ist entscheidend – wir beobachten, wie beobachtet wird
Systemische Hypothesen machen uns zu präzisen Beobachter:innen. Sie erlauben es, uns von der Idee des objektiven Verstehens zu lösen und uns stattdessen in den Dienst von Veränderung zu stellen.

🧭 Veränderung beginnt mit Klarheit.
Als systemischer Berater, Coach und Mediator unterstütze ich Sie dabei, Konflikte zu klären, Rollen zu klären und Prozesse tragfähig zu gestalten – bevor Chancen verloren gehen.
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Fazit: Hypothesen schaffen Möglichkeitsräume
Gute Hypothesen erzeugen Resonanz. Nicht, weil sie “wahr” sind, sondern weil sie etwas in Bewegung bringen. Sie laden ein zum Weiterdenken. Sie stellen Sinn her – temporär, kontextbezogen, lösungsorientiert.
Und genau das macht sie so kraftvoll.
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