Ressourcen sehen, ermöglichen, aktivieren – Systemische Perspektiven auf Ressourcenarbeit in der Mediation
Mediator Sweti

Ressourcenorientierung gehört zu den zentralen Prinzipien systemischer Mediation. Doch was genau ist damit gemeint – jenseits der Aufforderung, „auch mal das Positive zu sehen“? In eskalierten Konflikten, bei tiefsitzenden Verletzungen oder inneren Blockaden reicht eine oberflächliche Stärken-Perspektive nicht aus.
Ressourcenarbeit in der Mediation bedeutet: Sinn erzeugen, Anschlussfähigkeit schaffen, Unterschiede markieren, die Unterschied machen. Und zwar in einem komplexen, selbstreferenziellen System.
Dieser Beitrag beleuchtet die Ressourcenaktivierung aus vier theoretischen Perspektiven – Systemtheorie, Transaktionsanalyse (TA), Konstruktivismus und lösungsfokussierte Ansätze – und zeigt abschließend, wie sich das Neun-Felder-Modell (NFM) nach Rieforth praxisnah nutzen lässt.
Systemtheorie: Ressourcen als Beobachtungen zweiter Ordnung
In der Sprache Luhmanns entstehen Ressourcen nicht durch Eigenschaften, sondern durch Beobachtungen, genauer gesagt: durch Beobachtungen zweiter Ordnung. Ein soziales oder psychisches System erkennt in einem Verhalten, einer Fähigkeit oder Erfahrung etwas, das nützlich ist – weil es als anschlussfähig empfunden wird.
Ressourcen sind keine Dinge – sie sind Sinnzuschreibungen.
Erst wenn das System in einer Eigenschaft eine differenzierende Funktion erkennt („Das bringt mich weiter“), wird diese zur Ressource. Ein Verhalten wie „Nicht-Aufgeben“ kann in einem Kontext als lästig gelten, in einem anderen als stark erlebt werden.
Die Aufgabe der Mediatorin ist es, Räume zu öffnen, in denen solche Bedeutungsverschiebungen möglich werden.
Strukturelle Kopplung: Wie Ressourcen aktiviert werden
Systeme sind operativ geschlossen, aber strukturell gekoppelt – das heißt: sie verarbeiten ihre Reize selbst, aber können durch passende Impulse aus der Umwelt in Bewegung geraten.
In der Mediation zeigt sich das so:
- Eine Mediatorin, die Vertrauen aufbaut, wird zur Beziehungskopplung.
- Ein vertrautes Ritual (z. B. Gesprächsregeln) schafft Sicherheit und wird zur kulturellen Kopplung.
- Eine neue Rolle (z. B. als Zuhörende) kann überraschend neue Ressourcen erschließen.
Ressourcen werden aktiviert, wenn sie sinnhaft anschlussfähig gemacht werden – in Denken, Fühlen, Handeln.
In diesem Sinne ist Ressourcenarbeit immer auch Intervention: Sie verändert die Differenzierung des Systems, indem neue Bedeutungen eingeführt werden.
Transaktionsanalyse: Ressourcen als förderliche Skriptanteile
In der Transaktionsanalyse (TA) spricht man von Skriptanteilen – das sind unbewusste Lebenspläne, die auf frühen Entscheidungen, Prägungen und inneren Antreibern basieren. Viele dieser Anteile sind hemmend („Sei nicht wichtig“, „Streng dich an“) – andere hingegen tragen Entwicklungspotenzial in sich.
Ressourcenarbeit heißt hier: förderliche Skriptanteile zu stärken und hemmende bewusst zu machen und zu bearbeiten.
Ein Beispiel:
- Eine Person mit dem Antreiber „Mach es allen recht“ fühlt sich oft ausgelaugt.
- Die dahinterliegende Ressource könnte eine hohe Empathie und soziale Intelligenz sein.
- In der Mediation kann sie lernen, diese Fähigkeit gezielter und selbstfürsorglicher einzusetzen.
So wird aus einer belastenden Skriptstruktur eine wählbare Handlungskompetenz – also: eine Ressource.
Konstruktivistische Perspektive: Vom Defizit zur Möglichkeit
Im konstruktivistischen Denken sind Ressourcen keine objektiven Tatsachen, sondern Konstruktionen von Wirklichkeit. Das bedeutet: Was als Stärke oder Schwäche gilt, hängt vom Kontext, vom Beobachter und von der Bedeutung ab, die wir etwas geben.
Ressourcenarbeit bedeutet: Bedeutungen zu verschieben.
- Aus „Ich bin zu empfindlich“ wird „Ich spüre Spannungen frühzeitig“
- Aus „Ich halte mich raus“ wird „Ich schaffe Raum für andere“
Diese Umcodierungen sind keine Schönfärberei, sondern legitime Perspektivwechsel, die neue Optionen eröffnen. Die Mediation bietet einen geschützten Raum, in dem solche Bedeutungsarbeit möglich wird.
Lösungsfokussierte Perspektive: Möglichkeitsräume erweitern
Wie in meinem früheren Artikel zur Lösungsorientierung beschrieben, basiert lösungsfokussiertes Arbeiten auf der Annahme:
„Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon.“
Ressourcen werden durch gezielte Aufmerksamkeit auf Ausnahmen, Kompetenzen und gewünschte Zukunftsbilder aktiviert. Die Sprache spielt hier eine Schlüsselrolle:
- „Was war anders, als es besser lief?“
- „Was würde dein zukünftiges Ich dazu sagen?“
- „Was von dem, was du tust, hilft dir jetzt schon?“
Diese Fragen helfen Klient:innen, ihre eigenen Ressourcen wiederzuentdecken – selbst in schwierigen Kontexten.
Ressourcenarbeit im Neun-Felder-Modell (NFM) nach Rieforth
Das NFM kombiniert drei Felder (Problem, Ressource, Interesse) mit drei Zeitdimensionen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). In jedem der neun Felder lassen sich Ressourcen differenziert bearbeiten – zum Beispiel:
- Ressource – Vergangenheit: Was hat dir früher geholfen?
- Ressource – Gegenwart: Was funktioniert aktuell – auch nur in Ansätzen?
- Ressource – Zukunft: Was wird dir helfen, dein Ziel zu erreichen?
Die sechs Erlebnisdimensionen nach Rieforth (Sinn, Kognition, Emotion, Wahrnehmung, Körper, Verhalten) ergänzen diesen Raster:
- In der Sinn-Dimension: Was lohnt es sich zu stärken?
- In der Körper-Dimension: Wann spürst du Kraft oder Sicherheit?
- In der Verhaltens-Dimension: Was tust du, wenn du wirksam bist?
Diese Kombination ermöglicht eine vielschichtige, präzise Ressourcenarbeit, die sowohl reflektierend als auch handlungsorientiert wirkt.

🧭 Veränderung beginnt mit Klarheit.
Als systemischer Berater, Coach und Mediator unterstütze ich Sie dabei, Konflikte zu klären, Rollen zu klären und Prozesse tragfähig zu gestalten – bevor Chancen verloren gehen.
🧩 Mediator Sweti
Struktur. Klarheit. Verbindung.
📬 Kontakt:
✉️ mediator@sweti.de
📅 Jetzt kostenloses Erstgespräch buchen
🌐 Zur Webseite
Systemische Quintessenz: Ressourcenarbeit ist Sinnarbeit
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Ressourcenarbeit ist nicht das Sammeln positiver Eigenschaften –
sondern das Stiften von Sinn, das Setzen neuer Unterscheidungen und das Schaffen von Anschlussfähigkeit.
Sie bedeutet:
- Unterschiede zu erzeugen, die hilfreich sind
- Beobachtungen zu verlagern – vom Defizit zur Möglichkeit
- Bedeutungen umzucodieren – Schwäche in Stärke transformieren
- Anschlussfähigkeit herzustellen – in Systemen, Beziehungen, inneren Bildern
In der Mediation ist dies kein Add-on, sondern Kern systemischer Praxis. Denn wo Menschen ihre Ressourcen (wieder)sehen, wird Entwicklung möglich – jenseits von Schuld und Fixierung.