Der Verhandlungsgedanke in der Mediation
Von Mediator Sweti
Der zweite Artikel unserer Reihe “3 Grundgedanken der Mediation” beschäftigt sich mit dem Verhandel. Es werden keine konkreten Methoden oder Prinzipien behandelt (das Harvard-Prinzip wird in einem gesonderten Blog-Post betrachtet), sondern es werden die grundlegenden Gedanken hinter dieser faszinierenden Tätigkeit dargestellt.
Inhalt
- Verhandlungsbegriff
- Verhandeln auf zwei Ebenen
- Positionsbezogenes Verhandeln vs. sachbezogenes Verhandeln
- Bezug des 3. Axioms von Watzlawick auf positionsbezogenes Verhandeln
- Fazit
Die INKOVEMA-Seite beschreibt Verhandlung in der Mediation als strukturierten Kommunikationsprozess, der darauf abzielt, festgefahrene Konfliktkommunikation zu verändern. Die Seite betont, dass Mediation nicht nur Konflikte löst, sondern auch Entwicklungspotenziale freisetzt, indem sie Kommunikationsprozesse transformiert und zukünftige Konflikte durch bessere Verständigung vermeidet. Dies steht im Einklang mit der konfliktsoziologischen Sicht, dass Verhandlungen soziale Prozesse sind, die auf Austausch und Wandel abzielen.
Verhandlungsbegriff
Hier, wie die Konfliktsoziologie der Begriff Verhandlung definiert:
Der Verhandlungsbegriff wird als ein Prozess verstanden, in dem verschiedene Parteien versuchen, ihre unterschiedlichen Interessen, Bedürfnisse und Ziele durch Kommunikation und Interaktion in Einklang zu bringen. Verhandlungen werden als soziale Mechanismen betrachtet, um Konflikte zu lösen oder zu transformieren, indem Kompromisse gefunden und Vereinbarungen getroffen werden.
Auch in der Mediation bezieht sich der Verhandlungsbegriff auf einen strukturierten Prozess, bei dem ein neutraler Dritter (der Mediator) die Parteien dabei unterstützt, durch Dialog und Verhandlung eine einvernehmliche Lösung ihres Konflikts zu finden. Hierbei stehen die Interessen und Bedürfnisse der Parteien im Vordergrund, und der Mediator fördert die Kommunikation und das Verständnis zwischen den Konfliktparteien.
Bei einer Verhandlung lassen sich typischerweise folgende Phasen beobachten:
- Vorbereitung: Beide Seiten bereiten ihre Positionen, Interessen und Strategien vor. Informationen werden gesammelt und analysiert.
- Eröffnung: Die Parteien treten in Kontakt und stellen ihre Positionen und Erwartungen vor. Ein gemeinsames Verständnis des Konflikts wird etabliert.
- Erkundung: Die Parteien diskutieren detailliert ihre Interessen, Bedürfnisse und Standpunkte. Es werden Informationen ausgetauscht und Möglichkeiten für Lösungen erkundet.
- Kompromissfindung: Die Parteien arbeiten an der Entwicklung von Lösungen und Kompromissen, die beide Seiten zufriedenstellen.
- Abschluss: Eine Einigung wird erzielt und formell dokumentiert. Die Parteien einigen sich auf konkrete Schritte zur Umsetzung.
- Nachbereitung: Die Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen wird überwacht und gegebenenfalls nachjustiert. Feedback und Reflexion über den Verhandlungsprozess finden statt.
Diese Phasen sind flexibel und können je nach Kontext und Art der Verhandlung variieren.
Die allgemeinen Phasen der Verhandlung lassen sich zu einem 5-Phasen-Modell der Mediation formell zuordnen.
Verhandlungsphasen | 5-Phasen-Modell der Mediation |
---|---|
Vorbereitung | Vorphase oder Auftragsklärung |
- Details abstimmen | - Details zu weiteren Vorgehensweisen |
- Informationen sammeln | - Bereitschaft zur Mediation klären |
Eröffnung | Themenfindung oder Klärungsphase |
- Kontaktaufnahme | - Perspektiven darlegen |
- Positionen vorstellen | - Gesprächsthemen und Konfliktbereiche priorisieren |
Erkundung | Interessenermittlung |
- Detaillierte Diskussion | - Interessen der Beteiligten ermitteln |
- Informationen austauschen | |
Kompromissfindung | Lösungsoptionen |
- Entwicklung von Lösungen | - Einigungsspielräume erarbeiten |
- Kompromisse erarbeiten | |
Abschluss | Abschlussvereinbarung |
- Einigung erzielen | - Verhandlungsergebnisse festhalten |
- Umsetzungsschritte festlegen | |
Nachbereitung | Nachbereitung (nicht im 5-Phasen-Modell explizit enthalten) |
- Umsetzung überwachen | - Reflexion und Feedback |
Verhandeln auf zwei Ebenen
Verhandlungen spielen sich auf zwei zentralen Ebenen ab: der Substanzebene (Sachverhalt) und der Prozessebene (Verfahren). Diese Unterscheidung hilft zu verstehen, wie Verhandlungen strukturiert und durchgeführt werden, und ist entscheidend für effektives Verhandlungsmanagement.
Substanzebene (Sachverhalt)
Die Substanzebene bezieht sich auf den inhaltlichen Aspekt der Verhandlung: Worum geht es? Hier geht es um die spezifischen Themen, Anliegen und Forderungen, die die Parteien in die Verhandlung einbringen.
Beispiele für Substanzfragen:
- In einer Gehaltsverhandlung: Wie viel Gehaltserhöhung wird gefordert? Welche Leistungen oder Arbeitsbedingungen werden besprochen?
- In einer Vertragsverhandlung: Welche Vertragsbedingungen sollen geändert werden? Was sind die spezifischen Anforderungen und Angebote der Parteien?
- In einem Mediationskonflikt: Welche konkreten Probleme oder Missverständnisse müssen gelöst werden? Welche spezifischen Vorfälle oder Ereignisse sind strittig?
Merkmale der Substanzebene:
- Sachliche Informationsbeschaffung und -aufbereitung.
- Verständigung über gemeinsame Interessen und Zielvorstellungen.
- Kreative und innovative Lösungsansätze.
- Anwendung von sachlichen Argumenten und Verhandlungslogik.
Wichtige Aspekte der Substanzebene:
- Fakten und Daten: Konkrete Informationen, Zahlen und Fakten, die die Grundlage der Verhandlung bilden.
- Argumente und Beweise: Die logischen und sachlichen Gründe, die zur Unterstützung der eigenen Position vorgebracht werden.
- Ziele und Forderungen: Die spezifischen Ziele, die jede Partei erreichen möchte, und die Forderungen, die sie stellt.
Prozessebene (Verfahren)
Die Prozessebene bezieht sich auf den methodischen und verfahrensbezogenen Aspekt der Verhandlung: Wie wird mit der Substanz umgegangen? Hier geht es um die Art und Weise, wie die Verhandlung geführt wird, einschließlich der Kommunikationsmethoden, Strategien und Verfahrensregeln.
Beispiele für Prozessfragen:
- In einer Gehaltsverhandlung: Wie wird die Verhandlung strukturiert? Welche Schritte werden unternommen, um zu einer Einigung zu gelangen?
- In einer Vertragsverhandlung: Welche Verhandlungstaktiken werden eingesetzt? Wie wird die Verhandlung moderiert oder geleitet?
- In einem Mediationskonflikt: Welche Mediationsmethoden werden angewendet? Wie wird der Dialog zwischen den Parteien gefördert?
Merkmale der Prozessebene:
- Strategische Planung und Vorbereitung.
- Anwendung von Verhandlungstechniken und -taktiken.
- Effektive Kommunikation und aktives Zuhören.
- Aufbau von Beziehungen und Vertrauen zwischen den Verhandlungsparteien.
Wichtige Aspekte der Prozessebene:
- Kommunikationsmethoden: Wie wird kommuniziert? Welche Gesprächstechniken und Fragestellungen werden verwendet?
- Verhandlungsstrategien: Welche Taktiken und Strategien setzen die Parteien ein? Wie wird die Verhandlung geführt?
- Verfahrensregeln: Welche Regeln und Rahmenbedingungen gelten für die Verhandlung? Wie werden Entscheidungen getroffen und dokumentiert?
Bedeutung der Unterscheidung
Die Unterscheidung zwischen Substanz- und Prozessebene ist wichtig, weil sie unterschiedliche Aspekte der Verhandlung adressiert und beide Ebenen für eine erfolgreiche Verhandlung berücksichtigt werden müssen. Hier sind einige Gründe, warum diese Unterscheidung relevant ist:
- Klärung und Struktur: Durch die Trennung von Substanz- und Prozessebene können Verhandlungen klarer und strukturierter geführt werden. Dies hilft, Missverständnisse zu vermeiden und den Fokus zu behalten.
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Verhandlungsführer können flexibel zwischen beiden Ebenen wechseln, um auf neue Informationen oder Entwicklungen zu reagieren und den Verhandlungsprozess anzupassen.
- Effektive Kommunikation: Die Bewusstmachung der beiden Ebenen fördert eine effektivere Kommunikation, da die Parteien nicht nur über den Inhalt, sondern auch über den Ablauf der Verhandlung sprechen können.
- Konfliktlösung: In der Mediation und Konfliktlösung ermöglicht die Unterscheidung, sowohl die sachlichen Anliegen der Parteien als auch die methodischen Aspekte der Konfliktbewältigung zu adressieren, was zu nachhaltigeren Lösungen führen kann.
Verhandlungen spielen sich auf der Substanzebene und der Prozessebene ab. Die Substanzebene befasst sich mit den konkreten Inhalten und Anliegen der Verhandlung, während die Prozessebene die Methoden und Verfahren der Verhandlungsführung betrifft. Beide Ebenen sind entscheidend für den Erfolg einer Verhandlung und sollten bewusst und strategisch berücksichtigt werden.
Positionsbezogenes vs. sachbezogenes Verhandeln
Definitionen
-
Positionsbezogenes Verhandeln: - Jeder Verhandlungspartner nimmt eine relativ feste Position im Gespräch ein und versucht diese so gut es geht zu verteidigen.“
-
Sachbezogenes Verhandeln: - Ein Ansatz, der sich auf die zugrunde liegenden Interessen und Bedürfnisse konzentriert, statt auf die festen Positionen.
Vergleichstabelle
Kriterium | Positionsbezogenes Verhandeln | Sachbezogenes Verhandeln |
---|---|---|
Fokus | Feste Positionen und Forderungen | Interessen und Bedürfnisse |
Ansatz | Konfrontativ, kompetitiv | Kooperativ, lösungsorientiert |
Flexibilität | Gering | Hoch |
Ergebnis | Win-Lose | Win-Win |
Beziehung | Kann belastet werden | Wird gestärkt |
Kommunikation | Verhandeln um feste Standpunkte | Offener Dialog zur Ermittlung von Interessen |
Beispielstrategie | Hart verhandeln, wenig Spielraum für Kompromisse | Gemeinsame Problemlösung, Kreativität bei der Entwicklung von Optionen |
Konfliktpotenzial | Hoch | Geringer |
Beide Verhandlungsansätze haben ihre eigenen Stärken und Schwächen und sind in unterschiedlichen Kontexten nützlich. Die Wahl des Ansatzes sollte auf den spezifischen Umständen der Verhandlung und den Zielen der beteiligten Parteien basieren.
Bezug des 3. Axioms von Watzlawick auf positionsbezogenes Verhandeln
Das 3. Axiom von Watzlawick: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.“
Erklärung des Axioms:
- Interpunktion bezieht sich auf die subjektive Markierung von Anfang und Ende von Kommunikationsereignissen durch die Kommunikationspartner. Jeder Partner sieht sich oft als Reaktion auf das Verhalten des anderen und interpretiert seine Handlungen als Antwort auf das Verhalten des Gegenübers.
- Diese subjektive Interpretation und Strukturierung der Ereignisfolgen führt häufig zu Missverständnissen und Konflikten, weil jeder Partner die Ursache-Wirkung-Beziehung anders wahrnimmt.
Anwendung auf positionsbezogenes Verhandeln
Positionsbezogenes Verhandeln ist eine Verhandlungsart, bei der jede Partei eine feste Position einnimmt und versucht, diese zu verteidigen. Das 3. Axiom von Watzlawick erklärt, wie diese Verhandlungsart oft zu Konflikten und festgefahrenen Situationen führt:
- Subjektive Wahrnehmung der Abfolge von Ereignissen:
- Jede Partei nimmt ihre eigene Position als gerechtfertigt und angemessen wahr, während sie die Position der anderen Partei als provozierend oder unangemessen ansieht.
- Beispiel: Partei A fordert eine Gehaltserhöhung und sieht dies als angemessene Reaktion auf ihre geleistete Arbeit. Partei B sieht die Forderung als übertrieben und als Versuch, die Verhandlung zu dominieren. Beide Parteien sehen ihre Reaktion als gerechtfertigt durch das Verhalten der anderen Partei.
- Eskalation durch Interpunktion:
- Die Parteien interpretieren die Handlungen der anderen Seite als Angriff oder Provokation und reagieren entsprechend defensiv oder aggressiv.
- Beispiel: Partei A interpretiert eine Ablehnung ihrer Forderung durch Partei B als mangelnde Anerkennung ihrer Leistungen und reagiert daraufhin mit einer noch stärkeren Forderung. Partei B interpretiert diese verstärkte Forderung als Unnachgiebigkeit und reagiert ebenfalls härter.
- Verhärtung der Positionen:
- Die subjektive Interpunktion der Ereignisfolgen führt zu einer Verstärkung der eigenen Position und einer Ablehnung der Position der anderen Partei. Jede Partei sieht sich als Opfer der Situation und gibt der anderen Partei die Schuld für den Konflikt.
- Beispiel: Partei A geht davon aus, dass Partei B mit ihrer ablehnenden Haltung den Konflikt verschärft hat, während Partei B glaubt, dass Partei A unvernünftige Forderungen stellt und dadurch den Konflikt verursacht.
Erklärung der Verhandlungsart durch das 3. Axiom
Konfliktverständnis: Das 3. Axiom verdeutlicht, dass positionsbezogenes Verhandeln häufig zu einer Eskalation von Konflikten führt, weil jede Partei die Ursache-Wirkung-Beziehung auf andere Art interpretiert. Diese unterschiedlichen Interpunktionsmuster verstärken die Wahrnehmung, dass die eigene Position gerechtfertigt und die andere Partei schuld an der Eskalation ist.
Kommunikationsdynamik: Positionsbezogenes Verhandeln wird durch ein fehlerhaftes Verständnis der Kommunikationsdynamik erschwert. Jede Partei sieht ihre Reaktionen als gerechtfertigte Antwort auf das Verhalten der anderen Partei, was zu einem Teufelskreis von Aktionen und Reaktionen führt, die den Konflikt weiter verschärfen.
Verhandlungsergebnisse: Die starre Haltung der Parteien und die fehlende Bereitschaft, die Perspektive der anderen Partei zu verstehen, führen oft zu suboptimalen Verhandlungsergebnissen oder sogar zum Scheitern der Verhandlungen.
Fazit
Verhandlungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Mediation und spielen sich auf zwei Ebenen ab: der Substanzebene und der Prozessebene. Während positionsbezogenes Verhandeln oft zu Konfrontationen und festgefahrenen Situationen führt, zielt sachbezogenes Verhandeln darauf ab, die zugrunde liegenden Interessen zu verstehen und kreative, kooperative Lösungen zu finden. Ein tiefes Verständnis der Kommunikationsdynamik, einschließlich der Interpunktion von Ereignisfolgen, ist entscheidend für erfolgreiche Verhandlungen und nachhaltige Konfliktlösungen.
Das 3. Axiom von Watzlawick erklärt, warum positionsbezogenes Verhandeln oft zu Konflikten und festgefahrenen Situationen führt. Die unterschiedliche Interpunktion der Ereignisfolgen durch die Parteien führt zu Missverständnissen, Eskalationen und einer Verstärkung der Positionen. Ein besseres Verständnis der Kommunikationsdynamik und der subjektiven Wahrnehmung der Ereignisse kann helfen, solche Konflikte zu vermeiden und konstruktivere Verhandlungsmethoden zu fördern.
Sachbezogenes Verhandeln dagegen zielt darauf ab, die Zusammenarbeit zu fördern, indem es die zugrunde liegenden Interessen beider Parteien berücksichtigt und kreative Lösungen findet, die für alle Beteiligten vorteilhaft sind. Im Gegensatz dazu konzentriert sich positionsbezogenes Verhandeln auf das Durchsetzen fester Forderungen, was oft zu Konfrontationen und unbefriedigenden Ergebnissen führt.
- Blogartikel
- Konfliktmanagement
- Mediationsgrundlagen
- 3 Grundgedanken der Mediation
- Das Harvard-Konzept