Kooperative und kompetitive Verhandlungstechniken in der Mediation: Ein Vergleich
Von Mediator Sweti
In der Mediation ist die Wahl der Verhandlungstechnik entscheidend für den Erfolg des Verhandlungsprozesses. Mediatoren und Konfliktparteien stehen vor der Entscheidung, ob sie einen kooperativen oder kompetitiven Verhandlungsstil anwenden. Beide Ansätze bieten unterschiedliche Herangehensweisen und können je nach Situation und Zielsetzung unterschiedlich effektiv sein. In diesem Artikel beleuchten wir die Leitgedanken der Verhandlung und erläutern die Unterschiede zwischen kooperativen und kompetitiven Verhandlungskonzepten. Außerdem werden die Prinzipien des „Feilschens“ als Beispiel für kompetitives Verhandeln und das „Harvard-Konzept“ als Beispiel für kooperatives Verhandeln näher erläutert. Abschließend zeigen wir, was das integrative Verhandeln mehr bietet als das Harvard-Prinzip und stellen eine Übersicht der Verhandlungstechniken im Kontext der Phasen der Mediation dar.
Leitgedanken bei einer Verhandlung: Kooperativ versus kompetitiv
Verhandlungen können grundsätzlich auf zwei Arten geführt werden: kooperativ oder kompetitiv. Beide Ansätze haben ihre eigenen Leitgedanken und Prinzipien, die die Art und Weise bestimmen, wie die Parteien miteinander interagieren und nach Lösungen suchen.
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Kooperatives Verhandeln:
- Interessenbasiertes Verhandeln: Hierbei konzentrieren sich die Parteien auf ihre zugrunde liegenden Interessen statt auf festgefahrene Positionen. Das Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten vorteilhaft ist (Win-Win).
- Integratives Verhandeln: Geht noch einen Schritt weiter, indem es den „Verhandlungskuchen“ vergrößert. Es werden neue Optionen und Möglichkeiten geschaffen, die den Nutzen für alle Beteiligten maximieren.
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Kompetitives Verhandeln:
- Positionales Verhandeln: Bei diesem Ansatz geht es darum, die eigene Position durchzusetzen, oft auf Kosten der anderen Partei. Der Verhandlungsprozess wird eher als Nullsummenspiel betrachtet, bei dem ein Gewinn der einen Seite einen Verlust der anderen bedeutet.
Kooperatives und kompetitives Verhandeln: Merkmale, Vor- und Nachteile
Kooperatives Verhandeln:
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Merkmale:
- Fokus auf Interessen statt Positionen.
- Offene Kommunikation und Transparenz.
- Kreative Problemlösung durch gemeinsames Entwickeln von Optionen.
- Langfristige Orientierung mit dem Ziel, Beziehungen zu stärken.
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Vorteile:
- Führt häufig zu nachhaltigen und stabilen Vereinbarungen.
- Stärkt die Beziehung zwischen den Parteien.
- Höhere Zufriedenheit durch Lösungen, die den wahren Bedürfnissen gerecht werden.
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Nachteile:
- Erfordert Zeit und Geduld, um tiefere Interessen zu identifizieren.
- Kann schwieriger sein, wenn eine Partei nicht kooperieren möchte.
- In Machtungleichgewichten schwerer umsetzbar.
Kompetitives Verhandeln:
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Merkmale:
- Festhalten an Positionen.
- Taktisches Vorgehen und Einsatz von Druckmitteln.
- Zurückhalten von Informationen zur eigenen Vorteilssicherung.
- Kurzfristige Orientierung mit dem Ziel, maximale Gewinne zu erzielen.
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Vorteile:
- Kann effektiv sein, wenn eine schnelle Lösung oder klare Positionen gefragt sind.
- Funktioniert gut in einmaligen Verhandlungen, bei denen die Beziehung zur Gegenseite weniger wichtig ist.
- Weniger komplex und zeitintensiv.
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Nachteile:
- Kann zu verhärteten Fronten und einem angespannten Verhandlungsverlauf führen.
- Gefährdet langfristige Beziehungen und Kooperationen.
- Risiko einer Win-Lose-Situation, bei der eine Partei unzufrieden bleibt.
Feilschen: Ein Beispiel für kompetitives Verhandeln
Das „Feilschen“ ist ein klassisches Beispiel für kompetitives Verhandeln. Hier geht es darum, durch taktisches Manövrieren und hartes Verhandeln den besten Preis oder die besten Bedingungen für sich herauszuholen.
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Prinzipien:
- Fokus auf Positionen: Beide Parteien legen ihre Positionen (z.B. Preisvorstellungen) fest und versuchen, den anderen zu Zugeständnissen zu bewegen.
- Taktisches Vorgehen: Durch Drohungen, Ultimaten oder das selektive Teilen von Informationen wird versucht, die Gegenseite zu beeinflussen.
- Kompromisse als Strategie: Oft wird ein Kompromiss angestrebt, der irgendwo zwischen den Ausgangspositionen liegt.
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Beispiel: In einer Verhandlung über den Kauf eines Autos könnte der Käufer einen niedrigen Preis anbieten, während der Verkäufer einen hohen Preis fordert. Beide Seiten versuchen, den Preis so weit wie möglich in ihre Richtung zu drücken, bevor sie sich auf einen Kompromiss einigen.
Harvard-Konzept: Ein Beispiel für kooperatives Verhandeln
Das Harvard-Konzept ist ein Paradebeispiel für kooperatives Verhandeln, das auf den Prinzipien des interessenbasierten Verhandelns aufbaut.
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Prinzipien:
- Trennung von Person und Problem: Persönliche Angriffe werden vermieden, und der Fokus liegt auf der Sachebene.
- Fokus auf Interessen: Statt auf Positionen zu beharren, wird nach den zugrunde liegenden Interessen beider Parteien gesucht.
- Entwicklung von Optionen: Gemeinsam werden kreative Lösungsansätze erarbeitet, die für beide Seiten vorteilhaft sind.
- Objektive Kriterien: Lösungen basieren auf fairen, externen Standards, um subjektive Verzerrungen zu vermeiden.
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Beispiel: In einer Mediation über eine Gehaltserhöhung könnte der Arbeitgeber anfangs ablehnend sein. Durch das Harvard-Konzept wird jedoch ermittelt, dass der Arbeitnehmer nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Anerkennung und Entwicklungsmöglichkeiten sucht. Eine Lösung könnte dann in einer Kombination aus Gehaltserhöhung und Fortbildungsmöglichkeiten liegen.
Integratives Verhandeln: Mehr als das Harvard-Prinzip
Das integrative Verhandeln geht über das Harvard-Prinzip hinaus, indem es aktiv nach Möglichkeiten sucht, den Verhandlungsspielraum zu erweitern und neue Werte zu schaffen.
- Erweiterung des Verhandlungsspielraums: Anstatt sich nur auf die bestehenden Interessen zu konzentrieren, wird versucht, neue Optionen zu entwickeln, die den Gesamtnutzen für beide Seiten erhöhen.
- Kreative Problemlösung: Der Prozess fördert eine besonders kreative Herangehensweise, um innovative Lösungen zu finden, die bisher nicht in Betracht gezogen wurden.
- Langfristige Orientierung: Es wird darauf geachtet, dass die gefundenen Lösungen nicht nur kurzfristig funktionieren, sondern auch langfristig Bestand haben und zukünftige Kooperationen fördern.
Unterschiedliche Verhandlungstechniken von Mediatoren und Medianten
Die Verhandlungstechniken, die von Mediatoren und Medianten verwendet werden, unterscheiden sich oft erheblich voneinander. Medianten neigen in der Regel dazu, kompetitive Verhandlungstechniken anzuwenden. Sie kommen oft mit festgefahrenen Positionen in die Mediation und versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Der Mediator hingegen verfolgt das Ziel, die Medianten in Richtung kooperativen Verhandelns zu bewegen, um nachhaltige und für beide Seiten vorteilhafte Lösungen zu finden.
Mittel des Mediators zur Förderung kooperativer Verhandlungstechniken
Um die Medianten in Richtung kooperativen Verhandelns zu bewegen, verwendet der Mediator verschiedene Mittel und Techniken:
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Schaffung eines sicheren Rahmens: Der Mediator etabliert eine vertrauensvolle und sichere Atmosphäre, in der die Medianten offen über ihre Interessen und Bedürfnisse sprechen können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
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Aktives Zuhören und Paraphrasieren: Der Mediator hört den Medianten aktiv zu und fasst ihre Aussagen zusammen. Dies zeigt den Parteien, dass ihre Anliegen ernst genommen werden und hilft gleichzeitig, Missverständnisse zu vermeiden.
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Reflexion und Feedback: Der Mediator regt die Medianten dazu an, ihre eigenen Positionen zu reflektieren und Feedback von der Gegenseite zu akzeptieren. Dies kann dazu beitragen, starr anmutende Positionen zu lockern und die zugrunde liegenden Interessen zu erkennen.
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Fragen stellen, die zum Nachdenken anregen: Durch gezielte Fragen lenkt der Mediator die Aufmerksamkeit der Medianten auf ihre eigentlichen Bedürfnisse und Interessen, anstatt auf ihre anfänglichen Positionen. Fragen wie „Was ist Ihnen wirklich wichtig?“ oder „Was brauchen Sie, um zufrieden zu sein?“ fördern das Nachdenken und die Offenheit für kooperative Lösungen.
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Förderung von Perspektivwechseln: Der Mediator ermutigt die Medianten, die Perspektive der anderen Partei einzunehmen. Dies hilft, Verständnis für die Sichtweise und die Bedürfnisse der Gegenseite zu entwickeln, was die Bereitschaft zur Zusammenarbeit erhöhen kann.
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Gemeinsame Entwicklung von Optionen: Der Mediator leitet die Medianten dazu an, gemeinsam kreative Lösungen zu entwickeln, die die Interessen beider Parteien berücksichtigen. Durch diese Zusammenarbeit wird der Fokus von einem Nullsummenspiel auf eine Win-Win-Situation verschoben.
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Nutzung objektiver Kriterien: Der Mediator fördert die Anwendung objektiver Standards und Kriterien zur Bewertung von Lösungsvorschlägen. Dies kann helfen, emotionale
Reaktionen zu minimieren und die Diskussion auf sachliche Aspekte zu lenken.
Übersicht der Verhandlungstechniken im Kontext der Phasen der Mediation
Nachfolgend eine Übersicht über die Anwendung von kooperativen und kompetitiven Verhandlungstechniken in den verschiedenen Phasen der Mediation:
Phasen der Mediation | Kooperative Verhandlungstechniken | Kompetitive Verhandlungstechniken |
---|---|---|
Kontraktphase - Kontaktaufnahme, Auftragsklärung | - Vertrauensaufbau: Offene Kommunikation zur Schaffung einer kooperativen Atmosphäre. - Erklärung der Ziele: Betonung gemeinsamer Interessen und Vorteile. | - Festlegung von Positionen: Klare Definition der eigenen Forderungen. - Einsatz von Druckmitteln: Nutzung von Einfluss, um günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. |
Klärungsphase - Perspektivdarstellung, Konflikterhellung | - Interessenfokus: Identifikation und Analyse der zugrunde liegenden Interessen. - Aktives Zuhören: Unterstützung des gegenseitigen Verständnisses durch offene Gespräche. | - Position verteidigen: Beharren auf der eigenen Position, um Zugeständnisse zu vermeiden. - Selektive Informationsfreigabe: Strategisches Zurückhalten von Informationen. |
Kreationsphase - Lösungsmöglichkeiten, Auswahl und Vereinbarung | - Gemeinsame Problemlösung: Entwicklung von Win-Win-Lösungen durch kreatives Brainstorming. - Objektive Kriterien: Nutzung von externen Standards zur Bewertung von Optionen. | - Ultimaten setzen: Aufbau von Druck durch das Stellen von Ultimaten. - Manipulation von Optionen: Präsentation von Optionen zur Stärkung der eigenen Position. |
Fazit
In der Mediation stehen Mediatoren und Konfliktparteien vor der Wahl zwischen kooperativen und kompetitiven Verhandlungstechniken. Während das Harvard-Prinzip und integratives Verhandeln nachhaltige und kreative Lösungen fördern, kann in bestimmten Situationen auch der kompetitive Ansatz von Nutzen sein. Medianten neigen oft zu kompetitiven Verhandlungstechniken, während der Mediator bestrebt ist, sie in Richtung kooperativer Ansätze zu führen. Eine sorgfältige Auswahl der Verhandlungstechniken und ihre Anpassung an die jeweilige Phase der Mediation sind entscheidend, um zu erfolgreichen und langfristig tragfähigen Ergebnissen zu gelangen.
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- 3 Grundgedanken der Mediation
- Das Harvard-Konzept